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Bertram Kober

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Andreas Krase
KULPOCHE oder DAS BLAU DER FERNE

Die Photographien von Bertram Kober zeigen Spuren aus, zufällige Rückstände gelebten Lebens, grandiose, von unbewußt ordnenden Händen geschaffene Banalitäten. Es ist, als Wäre der Photograph den Empfehlungen gefolgt, die einst Leonardo da Vinci angehenden Schülern der Malerei gab. Um das freie Spiel der Phantasie zu üben, so sein Ratschlag, solle das ästhetische Interesse scheinbar nebensächlichen Erscheinungen gelten. In den verworrenen Strukturen verwitterter Mauern seien diverse Landschaften, fremdartige Figuren, großartige Schlachten zu erblicken, auch sei das menschliche Auge imstande, ungeheuerliche, neuerfundene Dinge zu entdecken.

Bertram Kober hat sich mit Ablagerungen menschlicher Geschichte befaßt, um die in ihnen eingeschlossenen Phantasien und realen Ungeheuerlichkeiten aufzuzeigen.
Die Thematik dieser Bilder ist der unentrinnbare Widerspruch, der zwischen der Sehnsucht nach Entgrenzung, nach Befreiung aus der Begrenztheit menschlicher Lebensverhältnisse und den jämmerlichen Klischees besteht, in denen sich diese Sehnsucht entäußert.
Sorgsam betrachtet, entfalten sich in den Bildern Microdramen, deren tragische und zugleich klägliche Dimension außer Frage steht. Aber: Die Menschen heben die Bühne scheinbar endgültig verlassen, die von ihnen benutzten Dinge bleiben als Zeugen endlich zurück. Alleingeblieben wird ihr Surrogatcharakter an ihrer Hinfälligkeit doppelt deutlich: Tapeten wölben sich, Risse in der Wand platzen wie Wunden auf, Kabel baumeln zufällig herum, antiquierte Empfangstische und Sitzecken verströmen eine Atmosphäre eisiger Isolation.

Die Verschönerungsbemühungen, so will auch das Wortungetüm KULPOCHE sagen, sind gescheitert. Das Ungelebte ließ sich nicht durch Sehnsuchtsmotive ersetzen, leere Behältnisse bleiben zurück. Die Gelehrtenbüste in der Bibliothek blickt über die Zettelkästen ins Unbestimmte:
Der Geist und die Materie kommen nicht überein. KULTUR und EPOCHE sind deutsche Donnerworte, die der Photograph im Bewußtsein ihres Auseinanderklaffens zusammenfügte.

Die 35 Photographien des Zyklus KULPOCHE sind innerhalb eines relativ langen Zeitraums entstanden. Biographisch gesehen, beschreiben die Zeitspanne zwischen den ersten Bildergebnissen des Leipziger Photographiestudenten bis zu den jüngsten Arbeiten als freiberuflicher Photograph. Schon früh, auch in der Arbeit zum Studienabschluß, zeigte sich sein visuelles Interesse für den aktuellen Umgang mit Spuren der Vergangenheit, vor allem für das oftmals verheerende Umgehen mit historischer Innenarchitektur, mit wertvoller Bausubstanz überhaupt.
Es sind ausschließlich Interieurs, die ins Bild gerieten, Hüllen zeitweiliger Geborgenheit, aber auch Orte, die als Durchgangsstationen anonymer Passanten gedacht und konzipiert worden sind.
Die Altäre der Privatheit in öffentlich definierten Räumen, die Pinnwände und Poster versprechen Notausgänge und Fluchtfenster aus dem Alltag.
Diese Bilder in den Bildern - van Goghs Fischerboote, Rennautos und Rassehunde, Blumenstilleben und entblößte Frauen - drücken einen fast kultischen Umgang mit Bildverheißungen aus: Das Plakat mit dem startenden Jet zwischen den gerafften Übergardinen überm rostigen Fallrohr ist ein metaphysischer Ausgang in eine andere Realität. Die verdorrende Grünpflanze im Bild senkt sich auf das Bild von Pflanzenblüten im Bild. Der liegengebliebene rote Arbeitshandschuh, ein ästhetisierender Farbtupfer, bewahrt eine Geste der Verlorenheit.
Zwischen ockerbraunen Vorhangstoffen läuft eine Vorstellung an: DAS BLAU DER FERNE verspricht romantische Befreiung aus Alltagszwängen.

„Nur Abklatsch wird ihm zuteil“ befand Hans Magnus Enzensberger über das Subjekt des Massentourismus, den Pauschalreisenden, der in die Ferne startet und nur das Plakat erleben kann. Diese Kulturkritik läßt sich auch in KULPOCHE finden, allerdings ohne zuspitzende Verurteilung.
Die Photographien von Bertram Kober sind sehr präzise und sehr lakonisch, aber zugleich deuten sie an, daß alle Konstellationen in den Bildern Übergangsmomente menschlichen Lebens bergen - und daß auch in der Deformierung und der kleinbürgerlichen Verpuppung eine existenzielle Dimension aufgehoben ist.
Nichts, daß existiert, hat bleibenden Bestand. Memento mori.

Diese einfache Wahrheit tritt hervor, wenn sich der photographische Blick in ein Schrankfach senkt wie in einen aufgebahrten Sarg. Plastiktüten unklaren Inhalts quellen gegeneinander, ordentliche Lettern verkünden „Große Tüten“. Leben ist in Behältnissen gefangen.
Diese und andere Aufnahmen sind im doppelten Sinne Tafelbilder. Sie sind eng gefaßte Ausschnitte aus dem Realdesign, aber auch sicher kompnierte Stilleben. In ihnen kann der Blick lesen wie auf Leonardos malerischen Wänden. Aber nicht nur ästhetische Einfühlung ist gefordert, um die in zurückhaltender Farbigkeit photographierten Bilder in ihrer Symbolsprache nachvollziehen zu können. Um ihre zeitgeschichtliche Dimension zu erschließen, kann auch kulturelles Wissen herangezogen werden. Der lange Zeitraum, über den hinweg verteilt die Photographien entstanden, weist mit der deutschen Vereinigung einen als politische „Wende“ bezeichneten Zeitsprung auf. Im authentischen Ambiente überlagern sich die unterschiedlichen Gegenstandskulturen zweier Gesellschaftsordnungen, die als solche im Einzelnen identifizierbar sind und unverwechselbar bleiben. So gehen die Flurgarderobe aus der Nierentischchenzeit, DDR-typische Strukturtapeten und Fußbodenbeläge und später hinzukommende Versatzstücke der westlichen Konsumwelt höchst eigenartige Verbindungen ein, in denen sich mehrere Zeitebenen begegnen.
Die Thematik von KULPOCHE ist jedoch zeitübergreifend angelegt. Die photographische Auffassung blieb konstant und setzt auf den Vergleich.

DAS BLAU DER FERNE und der Konsumkitsch, sie sind Synonyme dieser Epoche. Dazwischen vergeht Leben.


In: KULPOCHE Altäre der Privatheit. Erschienen 1997 bei Faber & Faber Leipzig.